Die Volksinitiative «Für eine verantwortungsvolle Wirtschaft innerhalb der planetarischen Grenzen (Umweltverantwortungsinitiative)» verlangt, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten in der Schweiz nicht mehr Ressourcen verbrauchen und Schadstoffe freisetzen, als für den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen erlaubt ist. Mathias Rossi, Professor und Leiter des Instituts für soziale und öffentliche Innovation an der Hochschule für Wirtschaft Freiburg, erläutert, was bei dieser Vorlage auf dem Spiel steht und welche Auswirkungen sie auf die Wirtschaft haben könnte.
Was sind die Hauptziele der Umweltverantwortungsinitiative und wie lassen sie sich in den bestehenden rechtlichen Rahmen der Schweiz einordnen?
Diese Initiative strebt an, dass die Schweiz innerhalb von zehn Jahren die Umweltbelastungen durch ihren nationalen Konsum deutlich reduziert, um die planetaren Belastbarkeitsgrenzen einzuhalten. Sie zielt auf Bereiche wie den Klimawandel, den Biodiversitätsverlust, den Wasserverbrauch, die Bodennutzung sowie den Stickstoff- und Phosphorverbrauch ab. Derzeit unterliegt die Schweiz bereits Bestimmungen wie dem Pariser Abkommen oder der Agenda 2030, die jedoch nach Ansicht der Initianten nicht ausreichend bindend sind. Die Initiative schlägt daher strengere Massnahmen vor, um die Umwelt besser zu schützen.
Das Konzept der «planetarischen Belastungsgrenzen» ist in dieser Initiative zentral. Können Sie dieses Konzept, und wie es in der Schweizer Wirtschaft konkret angewendet werden würde, erläutern?
Dieses Konzept wurde 2009 vom Stockholm Resilience Centre entwickelt. Es benennt Schwellenwerte, die nicht überschritten werden dürfen, um ein lebensfähiges Ökosystem zu gewährleisten. Es hebt die Risiken ökologischer «Points of no return» hervor. Einige Schwellenwerte sind jedoch schwer zu quantifizieren und ihre Wechselwirkungen erschweren die Anwendung. Die Schweiz ist ein kleines Land und ihr Einfluss auf das globale Klima ist relativ begrenzt. Die Einhaltung dieser Grenzwerte könnte zwar das internationale Ansehen unseres Landes stärken, würde jedoch auf globaler Ebene nur einen marginalen Effekt haben.
Die Initiative sieht eine Frist von zehn Jahren vor, um die planetaren Belastungsgrenzen einzuhalten. Ist diese Frist realistisch und ist mit ihr ein reibungsloser wirtschaftlicher Übergang möglich, ohne das Wachstum zu stören?
Diese Frist ist ehrgeizig. Zwar wurden bereits ökologische Fortschritte erzielt, doch die Ziele innerhalb eines Jahrzehnts zu erreichen, würde rasante Veränderungen in vielen Wirtschaftssektoren erfordern. Obwohl Investitionen in nachhaltige Innovationen genehmigt wurden, könnte ein so schneller Übergang zu erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen führen.
Welche Wirtschaftssektoren wären von der Umsetzung dieser Initiative am stärksten betroffen?
Die Initiative würde insbesondere die Industrie betreffen, die umweltbelastend ist. Darüber hinaus wären die Landwirtschaft und der Wohnungsbau betroffen, ebenso wie eher unerwartete Sektoren wie die Finanzbranche. Diese investiert massiv in bestimmte Bereiche und wäre gezwungen, auf nachhaltigere und zertifizierte Anlageformen zu setzen.
Welches wären die potenziellen Folgen für die Schweizer KMU, die im Vergleich zu Grossunternehmen meist über weniger Ressourcen verfügen, um sich an solche neuen Regelungen anzupassen?
Die KMU, die einen Grossteil des Schweizer Wirtschaftsgefüges ausmachen, profitieren von ihrer Agilität, Anpassungsfähigkeit und Kundennähe. Dennoch verfügen sie oft nur über begrenzte Mittel, um einen solchen Übergang zu bewältigen. Einige KMU beschäftigen sich jedoch bereits mit nachhaltigen Vorhaben und ihre Erfahrungen könnten als Vorbilder dienen.
Sie sprechen von einer Wirtschaftswende. Bereitet die Schweiz ihre Jugend auf diese Herausforderungen vor?
Auf jeden Fall. Die HES-SO und viele andere Hochschulen integrieren diese Themen zunehmend in den Unterricht und die Forschungsprojekte. An der Hochschule für Wirtschaft Freiburg (HSW-FR) wird deutlich, dass diese Fragen auch die Anliegen der Studierenden widerspiegeln.
Inwiefern könnten technologische Innovationen und nachhaltige Praktiken dazu beitragen, die Ziele der Initiative zu erreichen und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum voranzutreiben?
Innovation ist entscheidend, um diese Herausforderung zu meistern. Die Schweiz bietet mit ihren führenden akademischen Einrichtungen ein günstiges Umfeld dafür. Allerdings setzt die Initiative enge zeitliche Vorgaben, die erfolgversprechende Fortschritte bremsen könnten, denn Forschung und Entwicklung benötigen Zeit. Steuerliche Anreize für innovative Unternehmen könnten helfen, diesen Prozess zu beschleunigen.
Die Initiative erwähnt die Notwendigkeit, die Sozialverträglichkeit der Massnahmen zu berücksichtigen. Wie können die Umweltanforderungen mit den Erwartungen und Bedürfnissen der Schweizer Gesellschaft in Einklang gebracht werden?
Die Umsetzung der Initiative würde Auswirkungen auf Beschäftigung und Lebenshaltungskosten haben. In der aktuellen wirtschaftlichen Lage, geprägt von Sorgen um Kaufkraft und steigende Krankenkassenprämien, treten Umweltfragen oft in den Hintergrund. Dies könnte die Akzeptanz der Vorlage beeinträchtigen. Es werden zwar Ausgleichsmassnahmen vorgeschlagen, allerdings mangelt es diesen an Klarheit und konkreten Zusicherungen.
Der Bundesrat zieht es vor, sich auf die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen und die laufenden Gesetzgebungsprozesse abzustützen. Inwiefern unterscheiden sich diese Alternativen von dem in der Initiative vorgeschlagenen Ansatz?
Die bestehenden Bestimmungen sind fragmentarisch und wenig verbindlich. Der Bundesrat hat keinen Gegenentwurf vorgelegt, was bedauerlich ist, da die Initiative die Dringlichkeit des Klimaschutzes hervorhebt. Auch wenn sie vermutlich kaum Chancen hat, angenommen zu werden, regt sie zumindest eine wichtige öffentliche Debatte an.
Gibt es Beispiele aus anderen Ländern, die eine ähnliche Politik verfolgt haben? Und welche Lehren könnte die Schweiz daraus ziehen?
Schweden strebt bis 2045 die CO₂-Neutralität an und die Niederlande planen ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 % im Vergleich zu 1990 senken. Beide Länder setzen auf starke staatliche Unterstützung, verbindliche Massnahmen und die Förderung von Innovationen.