Weshalb ist die Reform AHV 21 zwingend nötig?
Man muss wissen, dass die AHV seit ihren Anfängen im Schnitt alle fünf Jahre saniert wurde. Die letzte grosse Reform liegt nun aber schon 25 Jahre zurück (1997). Die grösste Herausforderung für unsere Altersvorsorge bildet die demographische Entwicklung. Zu Beginn betrug das Verhältnis zwischen Berufstätigen und Pensionierten sechs zu eins. Das hat sich grundlegend verändert. Mit dem Eintritt der Generation der Baby-Boomer ins Rentenalter geht der Anteil der Berufstätigen zurück, während jener der Pensionierten rasch ansteigt. Bald wird das Verhältnis zwei zu eins betragen. Ausserdem hat sich die Lebenserwartung seit der Einführung der AHV im Jahr 1948 ganz allgemein um fast zehn Jahre erhöht.
In diesem Umfeld fehlt es der AHV an Geld. Das Bundesamt für Sozialversicherungen schätzt das zwischen 2020 und 2045 kumulierte Defizit auf circa 200 Milliarden Franken, das entspricht den Kosten für den Bau von 16 Gotthard-Basistunneln. Wenn wir wollen, dass die wichtigste Sozialinstitution der Schweiz auch an künftige Generationen Renten ausschüttet, ist es dringend nötig, sie zu sanieren.
Was halten Sie von der Idee, die AHV über die Mehrwertsteuer zu sanieren?
Ich finde, der Vorschlag ist durchaus begründet, denn er behandelt sämtliche Generationen fair. Alle beteiligen sich an der Finanzierung der AHV via Konsumgüter, die gekauft werden. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass strukturelle Anpassungen allein nicht ausreichen werden, die AHV für künftige Generationen zu stabilisieren.
Es braucht auch finanzielle Massnahmen, um die wichtigste Sozialversicherung der Schweiz sicherstellen zu können. Die Erhöhung der MwSt um 0,1 resp. 0,4 Prozentpunkte (je nach Gut/Dienstleistung) wird der AHV zusätzliche 1,5 Milliarden Franken pro Jahr einbringen. Es wurden Schätzungen gemacht: Die jährlichen Ausgaben, die sich aus dieser Erhöhung der Mehrwertsteuer ergeben, machen für einen durchschnittlichen Schweizer Haushalt circa 200 Franken aus.
Die AHV-Reform hängt also von der Änderung des AHV-Gesetzes und der Änderung der Bundesverfassung in Bezug auf die Mehrwertsteuer ab. Was passiert, wenn eine der beiden Vorlagen nicht angenommen werden sollte?
Die beiden Vorlagen müssen zwingend angenommen werden, sind sie doch untrennbar miteinander verknüpft. Wir müssen über beide Vorlagen abstimmen, denn gegen die Änderung des AHV-Gesetzes wurde erfolgreich das Referendum ergriffen und eine Änderung der Bundesverfassung muss obligatorisch vors Volk gebracht werden. Im Interesse aller Generationen hoffe ich, dass die beiden Vorlagen angenommen werden – das wird es ermöglichen, die Sanierung der AHV anzugehen.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein: Wenn die Vorlagen nicht angenommen werden, werden die Arbeitnehmer via die Erhöhung ihrer Arbeitnehmerbeiträge mehr bezahlen müssen. Das bedeutet, dass die berufstätige Bevölkerung das Gewicht der AHV-Sanierung auf ihren Schultern tragen müsste.
Die Reform sieht eine Erhöhung des Rentenalters für Frauen vor. Wie stehen Sie dazu?
Ich bin für eine Vereinheitlichung des Rentenalters von Frauen und Männern. Wir brauchen eine Lösung, damit die Renten der kommenden Generationen gesichert werden – und die Vereinheitlichung ist eine effiziente Lösung. Als Erstes wird sie es ermöglichen, das System zu modernisieren, das auf einem veralteten Rollenbild aufbaut. Dann wird es die Massnahme auch erlauben, die erste Säule dank zusätzlicher Einnahmen von circa 1,4 Milliarden Franken pro Jahr bis 2032 zu stärken.
Die Vorlage bietet mit der Ersetzung des Rentenalters durch ein Referenzalter die Möglichkeit, qualifizierte Arbeitnehmer, also auch die Frauen auf dem Arbeitsmarkt, länger zu beschäftigen.
Ist die Reform AHV 21 eine nachhaltige Lösung, die es den Jungen ermöglicht, in 30 oder 40 Jahren AHV zu beziehen?
Die Lösung ist der richtige Weg für die kommenden Jahre. Es darf aber nicht vergessen gehen, dass die AHV den gesellschaftlichen Entwicklungen folgen muss, weitere Revisionen werden in der Zukunft sicherlich nötig sein. Beispielsweise, dass die das Rentenalter je nach Beruf angepasst werden muss. In der Baubranche oder in der Pflege ist die Arbeit körperlich anstrengend, es wäre deshalb angebracht, dass das Rentenalter hier unterschiedlich angesetzt werden kann. Parallel dazu zeichnet sich bereits eine Revision der zweiten Säule (BVG) ab, die ebenso dringlich ist wie die Revision der AHV.
Zusammengefasst sieht die Revision vor:
- Vereinheitlichung des Rentenalters von Frauen und Männern: Das Rentenalter der Frauen wird jenem der Männer angepasst, was es erlaubt, das System zu modernisieren, das auf einem veralteten Rollenbild aufbaut. Die Anpassung des Referenzalters soll schrittweise erfolgen und wird es erlauben, die erste Säule dank zusätzlicher Einnahmen von ca. 1,4 Milliarden Franken pro Jahr bis 2032 zu stärken.
- Kompensationsmassnahmen für Frauen der Übergangsgeneration: Die Reform AHV 21 sieht Massnahmen vor, die darauf abzielen, die Auswirkungen der Anhebung des Referenzalters für Frauen, die sich bei Inkrafttreten der Reform kurz vor der Pensionierung befinden, abzufedern. Die Übergangsgeneration umfasst 9 Jahre und betrifft Frauen, die bei Inkrafttreten der Reform 55 Jahre oder älter sind. Tritt die Reform 2024 in Kraft, wären das jene Frauen, die zwischen 1961 und 1969 geboren wurden.
- Flexibler Rentenbezug in der AHV: Die Altersrente kann ab einem Alter zwischen 63 und 70 Jahren für Frauen und Männer, und für Frauen der Übergangsgeneration zwischen 62 und 70 Jahren bezogen werden. Ein späterer oder früherer Bezug eines Teils der Rente wäre somit zu reduzierten oder erhöhten Beträgen möglich, je nach gewählter Option. Der Bundesrat wird die neuen Sätze kurz vor deren Einführung festlegen.
- Anreize zur Weiterführung der Erwerbstätigkeit nach 65: Die Reform AHV 21 bietet die Möglichkeit, auf den Freibetrag für Erwerbstätige im Rentenalter zu verzichten. Die nach dem Referenzalter (65 Jahre) bezahlten AHV-Beträge werden berücksichtigt. Das ermöglicht es, allfällige Beitragslücken zu schliessen und die AHV-Rente bis zu einem bestimmten Betrag zu verbessern.
- Verkürzung der Karenzfrist für den Anspruch auf Hilflosenentschädigung der AHV: Die Karenzfrist für den Anspruch auf Hilflosenentschädigung der AHV wird von einem Jahr auf sechs Monate verkürzt.
- Zusatzfinanzierung durch die Mehrwertsteuer (Bundesbeschluss): Die Reform AHV 21 sieht eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,1 respektive 0,4 Prozentpunkte vor, um der AHV eine neue Finanzierungsquelle erschliessen zu können. Diese Massnahme wird es ermöglichen, der AHV zusätzliche jährliche Einnahmen in der Höhe von ca. 1,4 Milliarden Franken zur Verfügung zu stellen.